Die sympathischste Indie-Kapelle aller Zeiten war am Donnerstag in der Wiener Arena. Nein, nicht Arcade Fire, sondern Belle And Sebastian. Den Support machten Naked Lunch. Auch sehr sympathisch.

Text: Nicole Schöndorfer


Sieben, neun, dreizehn? Wie viele Musiker tatsächlich auf der Bühne waren, war bei Belle And Sebastian immer relativ schwer zu sagen. Viele entpuppten sich als überfürsorgliche Roadies, andere spazierten einfach nur gemütlich von links nach rechts, um mal zu schauen, was so geht und ständig wurden die Plätze hinter den Instrumenten getauscht. Auch während der Songs nämlich. Dann verschwand plötzlich wieder die Hälfte. Stuart Murdoch fand das bestimmt voll lustig. Der großartige Sänger und Frontmann der Band war richtig gut drauf. Seine Schmähs zwischendurch reichten von Schottland-Wetter-Bashing – es folgte „Another Sunny Day“ – bis hin zur großen Begeisterung über die Open Air-Punk-Location in der Baumgasse – als Einleitung für „Judy And The Dream Of Horses“. Nicht so clever fand er, dass Sukie, die sonst immer am Friedhof herumhängt, letztens die Glasgow School Of Art angezündet hat. Murdochs Storytelling war so faszinierend wie sein eleganter Tanzstil und sein komplett weißes Outfit, das bei sogenannten „hat kind of songs“ durch einen Hut ergänzt wurde. Wahnsinnstyp.

Nichts als Schmusen und Selfies im Kopf

Gespielt wurden hauptsächlich „Oldies“, wie er die Hits der Alben „The Boy With The Arab Strap“, „Dear Catastrophe Waitress“ und „The Life Pursuit“ nannte. Neues kommt aber angeblich ganz bald. Irgendwann gegen Ende des Sets wollte Murdoch partout nicht mehr alleine tanzen. Seine Kollegen Stevie Jackson und Sarah Martin waren irgendwie immer zu beschäftigt, um wie er freudestrahlend über die Bühne zu hopsen. Die anderen fünf bis zehn oder zwanzig Musiker stiegen auch nur schüchtern vom einen Bein auf das andere. Was tun also? Klar, Fans aus der ersten Reihe auf die Bühne holen! Noch als diese von den nicht ganz so begeisterten Securities über die Absperrung gewuchtet wurden, fragte sich der Rest der Crowd, ob das denn so gescheit gewesen war. Nun ja, es geht.

Ein Pärchen, bei dem ein Heiratsantrag nicht verwunderlich gewesen wäre, ein Selbstdarsteller, der seine Moves am liebsten vor Murdoch und den anderen abzog und ein Mädchen im bodenlangen Blumenkleid, das für ein Foto aus der Menge schnell einmal so tat, als würde sie Martins Keyboard arg rocken, obwohl Murdoch noch sagte „but stay away from the instruments“. Ein paar Andere purzelten auch noch herum. Zwei Songs lang durften sie bleiben. Dann wollten auf einmal alle mit Murdoch schmusen. Von hinten wurde er plötzlich umarmt und abgebusselt, Hände und Schnuten überall. Auch ein Selfie-Versuch wurde gestartet, allerdings vergeblich. Reicht jetzt dann, dachten sich alle. Manche Fans im Publikum wurden richtig böse und reihten die Eindringlinge aufsteigend nach Hasspotenzial. Das erzählt man sich zumindest. Ein Tamburin wurde auch geklaut. Was haben wir gelacht.

Win Butler ist nun einmal gruselig

Nun steht ja da im Vorspann etwas von Arcade Fire. Warum gerade der Vergleich mit Arcade Fire? Weil die kanadischen Indie-Koryphäen um Win Butler irgendwie auch so einen Kappellencharakter haben, super sind und wichtig für die Welt. Riesige Band, klar. Belle And Sebastian sind aber trotzdem irgendwie anders, auch, weil nicht so riesig. Von der Einstellung, vom Charme, vom Anspruch. Das neue Album, das demnächst erscheinen wird, wird auch niemals so viel Aufsehen erregen, wie Arcade Fires „Reflektor“ im letzten Jahr. Es wird kein endloses Teasern, keine Exklusiv-Tracklist vorab und keine Geheimniskrämerei um den Titel geben. Das brauchen Belle And Sebastian nicht, das würde aufgesetzt und lächerlich wirken. Es wird wohl auch nicht gleich als „Album des Jahres“ gehandelt, den Anspruch haben weder sie selbst, noch die Hörer. Was ihnen einfällt, das machen sie. Dabei kichern sie und tänzeln sie, erzählen lustige Geschichten und lassen sich von aufdringlichen Fanboys und -girls abschmusen. Arcade Fire würden das nicht tun, dafür sind sie irgendwie zu unnahbar, zu perfekt, zu durchgeplant. Eh super und wichtig, wie gesagt, aber halt auch bei Weitem nicht so sympathisch. Außerdem Stuart Murdoch und Win Butler, hallo? Oh lala versus huch.

Im Vorprogramm spielten die nicht weniger großartigen Naked Lunch. Man hatte das Gefühl, dass das Publikum nicht nur wegen Belle And Sebastian, sondern auch wegen ihnen da war. Das war zum Beispiel auch eine schöne Sache.

Die Autorin auf Twitter: @nicole_schoen.

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